Die Rente und der Rückzug des Staates

Lediglich neun Prozent der Neu-Rentner entsprechen dem Idealbild einer fortlaufenden Beschäftigung bis zur Regelaltersgrenze. Fast zwei Drittel aller Neu-Rentner gingen 2011 vorzeitig in den Ruhestand. Anders als früher gibt es allerdings nur noch wenige gesetzlich geregelte Möglichkeiten, vorzeitig oder gleitend vom Erwerbsleben in die Rente überzugehen, so Prof. Dr. Ute Klammer von Universität Essen-Duisburg und ihre Forscherkollegen Nobert Fröhler und Dr. Thilo Fehmel.

Der Verlust an Flexibilität ist nach Analyse der Forscher ein Effekt der Reformen, mit denen verschiedene Bundesregierungen die Alterssicherung grundlegend umgestaltet haben. Ihr Ziel: Staatliche Ausgaben zu begrenzen, die Sozialabgaben stabil zu halten und angesichts des demografischen Wandels sicherzustellen, dass es genügend Arbeitskräfte gibt.Mit den Reformen wurde der vorzeitige Erwerbsausstieg zunehmend erschwert: Die Altersgrenzen für eine vorgezogene Altersrente wurden angehoben und der vorzeitige Rentenbezug mit dauerhaften Abschlägen versehen.

Die Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit, nach Altersteilzeit sowie der frühere Renteneintritt von Frauen wurden gänzlich abgeschafft und die Regelaltersgrenze wird schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Hinzu kommen die Abschaffung des Arbeitslosengeldes unter erleichterten Voraussetzungen („58er-Regelung“) Anfang 2008 und der geförderten Altersteilzeit Anfang 2010.

Die Forscher sehen darin eine Gefahr: Wenn das so bleibt, drohe sich die Lage künftiger Rentner deutlich zu verschlechtern, da betriebliche und tarifliche Lösungen gar nicht oder zu selten die Leistungskürzungen auffangen können.

 

Darüber hinaus unterscheiden sich die auf tariflicher und betrieblicher Ebene ausgehandelten Lösungen zum Teil erheblich:

Zwischen Branchen: Beim Zugang zu Übergangsinstrumenten wie Altersteilzeit oder Langzeitkonten spielt die Branche eine zentrale Rolle. Im Einzelhandel oder in der Textilindustrie existiert nach Auswertung der Forscher nicht eine tarifliche Regelung zum Rentenübergang. In der chemischen Industrie gibt es dagegen fünf tariflich regulierte Übergangsinstrumente, wobei tarifgebundene Unternehmen ihren Beschäftigten mindestens eine dieser Möglichkeiten anbieten müssen. Der Vergleich verschiedener Branchen zeigt zudem: Die Möglichkeiten für einen flexiblen Rentenübergang steigen mit der durchschnittlichen Betriebsgröße der jeweiligen Branche, der Tarifbindung, der Höhe der Löhne und der Verbreitung des Normalarbeitsverhältnisses – also mit Faktoren, die Verhandlungspositionen von Arbeitnehmern tendenziell stärken.

Zwischen Betrieben: Jedes vierte Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten und Betriebsrat bietet keinerlei Übergangsinstrumente an. In den Betrieben mit einem Angebot haben die Beschäftigten meist nur dann einen Anspruch auf dessen Nutzung, wenn der entsprechende Tarifvertrag dies vorschreibt. Viele enthielten zudem Öffnungsklauseln. Andere Tarifverträge, etwa zu Langzeitkonten, seien meist lediglich Rahmenvereinbarungen. Die Untersuchung hat dabei gezeigt: Angebot und Qualität von betrieblichen Übergangsinstrumenten hängen zentral von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, der Betriebsgröße, der Tarifbindung und Existenz eines Betriebsrates sowie dem Anteil atypischer Beschäftigung ab.

Zwischen Beschäftigten: Der Spielraum, den die Tarifverträge bieten, wird der Studie zufolge von den Betriebsparteien genutzt, um den Rentenübergang unternehmensspezifisch anzupassen. Dies führe zum Teil dazu, dass auch die Möglichkeiten von Beschäftigten im selben Betrieb äußerst unterschiedlich sein können.

In der Folge steigt die Ungleichheit: Die Studie zeigt auch, dass die Nutzung tariflicher und betrieblicher Übergangsinstrumente immer stärker vom Einkommen, der Qualifikation und der Arbeitsfähigkeit abhängt. Benachteiligt seien somit ausgerechnet jene Beschäftigtengruppen, die auch von den staatlichen Leistungseinschränkungen besonders betroffen sind: Geringverdiener, Geringqualifizierte, Frauen und Beschäftigte mit einem hohen Invaliditätsrisiko.

Die Folgen der staatlichen Entflexibilisierungspolitik würden so noch verstärkt. Die Schlussfolgerung der Forscher: „Da Arbeitgeberverbände und Unternehmen einerseits nicht willens, Gewerkschaften und Betriebsräte andererseits größtenteils nicht in der Lage dazu sind, dieser Entwicklung entscheidend entgegenzuwirken, muss die Regulierung des Rentenübergangs auch in Zukunft vornehmlich Aufgabe staatlicher Sozialpolitik bleiben.“

Quelle: www.boeckler.de

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