Der Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zieht eine gemischte Bilanz der Koalitionsvereinbarungen: Die Abschaffung der Optionspflicht ist zu begrüßen, aber die notwendige Schaffung eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts für eine mobile Gesellschaft bleibt aus.
Verbesserungen für Flüchtlinge sind begrüßenswert. Eine Reihe von integrationspolitischen Einzelmaßnahmen sind positiv zu bewerten, es fehlt allerdings eine migrationspolitische Gesamtstrategie. SVR empfiehlt eine institutionelle Aufwertung der Integrationspolitik. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD bleibt in einer entscheidenden integrationspolitischen Frage halbherzig. „Es ist sehr zu begrüßen, dass die integrationspolitisch hoch problematische Optionspflicht abgeschafft wird. Es ist aber enttäuschend, dass sich die Große Koalition nicht auf ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht verständigen konnte, das den Anforderungen eines Einwanderungslandes entspricht und zugleich den rechtlichen Problemen der Mehrstaatigkeit Rechnung trägt“, sagte die SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Christine Langenfeld, am 27.11.2013, in Berlin. Der SVR hatte mit seinem Modell eines Doppelpasses mit Generationenschnitt einen solchen Vorschlag unterbreitet. Nach dem SVR-Modell wird die doppelte Staatsangehörigkeit für die erste und zweite Generation ermöglicht, eine automatische Weitergabe an spätere Generationen erfolgt aber nicht mehr.
Der Grundgedanke des SVR-Modells ist, die Anhäufung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten in späteren Generationen zu vermeiden. Das SVR-Modell hätte auch bei Einbürgerungen der ersten Zuwanderergeneration die doppelte Staatsangehörigkeit ermöglicht. „Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag führt zu einer Asymmetrie zwischen Einbürgerung im höheren Alter und dem Erwerb der Staatsangehörigkeit per Geburt (ius soli)“, kritisierte Langenfeld.
Die Asymmetrie bestehe darin, dass durch die Abschaffung der Optionspflicht Mehrstaatigkeit beim Erwerb der Staatsangehörigkeit qua Geburt hingenommen werde, bei der Einbürgerung aber nicht. Es sei nicht begründbar, warum gut integrierte Ausländer bei einer Einbürgerung die Staatsangehörigkeit aufgeben müssen, hier Geborene jedoch nicht. Somit würden weder die Integrationserfolge der Einbürgerungswilligen gewürdigt, noch ihr Loyalitätsbekenntnis durch die Einbürgerung. „Ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht würde die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit auch bei Einbürgerungen ermöglichen“, sagte Langenfeld. Darüber hinaus müsse sichergestellt werden, dass diejenigen, die aufgrund der Optionspflicht ungewollt ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren haben, diese unbürokratisch zurückerhalten können.
Der Koalitionsvertrag, der noch unter dem Vorbehalt eines SPD-Mitgliederentscheids steht, listet eine ganze Reihe von integrationspolitischen Einzelvorhaben auf, die fortgesetzt werden sollen, wie beispielsweise die Integrationskurse oder eine bessere Abstimmung von Beratungsangeboten. Die Ausländerbehörden sollen serviceorientierter werden – eine Absichtserklärung, die bereits der Koalitionsvertrag von 2009 enthielt. Auch das Ziel, den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu erhöhen, ist nicht neu. „Hier hätten wir uns gewünscht, dass in konkreten Schritten beschrieben wird, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Leider macht der Koalitionsvertrag keinerlei Zielvorgaben“, sagte Langenfeld.
„Vieles im Koalitionsvertrag ist richtig und wichtig, aber integrationspolitisch ist das kein Quantensprung. Was abermals und dringend fehlt, ist eine kohärente integrations- und migrationspolitische Gesamtstrategie“, bemängelte die SVR-Vorsitzende. Der SVR sieht dies als Versäumnis und empfiehlt, diese Themen weiterzuentwickeln. Der SVR hatte empfohlen, die Migrationspolitik in einem „Nationalen Aktionsplan Migration“ (NAM) zu bündeln und eine Migrationspolitik aus einem Guss zu entwickeln, die auch mit der Integrationspolitik vernetzt wird. In einem Nationalen Aktionsplan Migration könnten die Ziele und Instrumente festgelegt werden, mit denen der zukünftige Bedarf an hoch-, mittel- und niedrig qualifizierter Zuwanderung gedeckt und koordiniert werden soll und alle relevanten Akteure an einen Tisch geholt werden. „In diesem Rahmen könnte auch eine Strategie entwickelt werden, wie die neuen liberalen Zuwanderungsregelungen zur Blue Card und für Studierende im Ausland noch stärker bekannt gemacht werden. Denn die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften ist kein Selbstläufer“, sagte Langenfeld.
In diesem Zusammenhang ist auch das im Koalitionsvertrag gesetzte Ziel, die Zahl der internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen bis zum Jahr 2020 von zuletzt 265.292 (2012) auf 350.000 zu steigern aus Gründen der Fachkräftesicherung zu begrüßen.
Allerdings ist der geplante Zuwachs um etwa 85.000 Studierende in nur acht Jahren sehr ambitioniert. Zum Vergleich: Zwischen 2004 und 2012 stieg die Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland um gerade einmal 19.156. Ohne zielgerichtete Zusammenarbeit von Hochschulen und anderen Bildungsanbietern im In- und Ausland, sowie zusätzlichen Ressourcen für das internationale Hochschulmarketing wird der Hochschulstandort Deutschland es kaum schaffen, im internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe seine Position auszubauen.
Für Asylbewerber und Flüchtlinge enthält der Koalitionsvertrag eine Reihe von Verbesserungen. Positiv zu bewerten ist die Einführung einer neuen alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für lange in Deutschland lebende Geduldete. Das eröffne Flüchtlingen die Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. „Das Ziel, den Erstbescheid in einem Asylverfahren innerhalb der ersten drei Monate zu erteilen, ist jedoch anspruchsvoll und wird nur mit einer deutlichen Erhöhung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu leisten sein“, sagte Langenfeld. Die kürzere Verfahrensdauer dürfe auf keinen Fall zu Lasten einer sorgfältigen und gründlichen Prüfung des Asylbegehrens gehen.
In der europäischen Flüchtlingspolitik will die neue Bundesregierung „mehr Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten“ fordern. „Das bleibt sehr vage. Das hätten wir uns konkreter gewünscht“, sagte Langenfeld. Der SVR hatte vor kurzem eine neue Lastenteilung in der EU-Flüchtlingspolitik gefordert. Es ist zu hoffen, dass der Hinweis auf mehr Solidarität innerhalb der EU in diesem Sinne umgesetzt wird.
„Bildung ist und bleibt ein Schlüssel für eine gelingende Integration“, sagte Langenfeld. Daher sei es sehr zu begrüßen, dass ein Bundesprogramm „Eltern stärken“ aufgelegt werden solle, um Eltern mit Migrationshintergrund von Anfang an besser zu erreichen und in die Arbeit der Kitas und Schulen einzubeziehen. „Mit diesem Ansatz können bewährte Ansätze für Elternarbeit und Elternbildung bundesweit etabliert und verstetigt werden“, sagte Langenfeld.
Quelle: www.svr-migration.de